Bahnhofsunterführung Olten

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Keine Markierungen am Boden in der Bahnhofsunterführung – das ist für Sehbehinderte eine «Zumutung»

Die Martin-Disteli-Unterführung am Bahnhof Olten sei eine «Zumutung» für die Blinden und Sehbehinderten, schreibt der zuständige schweizerische Verband in einer Umfrage. Die Leitlinien am Boden, dank deren Hilfe die Betroffenen den Weg in der Unterführung besser fänden, enden direkt vor deren Eingang. Nun versprechen die SBB aber zu reagieren.

Der Bahnhof Olten gehört mit täglich 80’000 Pendlern zu den frequentiertesten Bahnhöfen der Schweiz. Vor allem in der Martin-Disteli-Unterführung ist in den Morgen- und Abendspitzen oft kaum noch ein Durchkommen. Umso schwieriger ist die Sache für Pendler, wenn diese blind oder sehbehindert sind – so wie Thomas Biedermann. Der 59-Jährige sieht nach Komplikationen bei einem Bandscheibenvorfall nur noch auf dem linken Auge, und dies nicht mehr als fünf Prozent. Seit vergangenem November ist er Interessensvertreter der Sektion Aargau-Solothurn des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes.

Anfang Mai hat Biedermann in einer E-Mail Blinde, Sehbehinderte sowie Fachstellen aufgefordert, sich zur Martin-Disteli-Unterführung in einer Umfrage zu äussern. Er sprach darin von einer «Zumutung». Warum? «Für uns Betroffene ist die Unterführung eine grosse Herausforderung, weil die Leitlinien am Boden gänzlich fehlen.» Immer wieder käme es daher zu Zusammenstössen mit Pendlern oder Hindernissen.

OT-HB-Olten

Biedermann macht beim Augenschein vor Ort vor, was er meint. Nach der Treppe, die von der Bahnhofsbrücke hinunter führt, hören die weissen Leitlinien vor der Martin-Disteli-Unterführung plötzlich auf. Biedermann ist gezwungen, sich neu zu orientieren und läuft zur rechten Wand. Er geht mit dem weissen Stock und trifft auf Hindernisse wie die Abschrankungen vor dem «Bretzelkönig». Weil Biedermann die Unterführung mehrmals pro Woche benutzt, kennt er sich mittlerweile sehr gut aus und geht um die beiden mit einem Band verbundenen Pfosten herum. Vor dem Perronaufgang zu Gleis 1 macht er halt. Genau an solchen Orten kommt es immer wieder zu Zwischenfällen: Pendler eilen die Treppe herunter, übersehen im Getümmel den weissen Stock und stolpern oder fallen gar darüber. «Die Leute können in ersten Moment dann schon auch ausfällig werden, bis sie merken, wen sie vor sich haben.» Biedermann sieht man nämlich auf den ersten Blick nicht an, dass er sehbehindert ist – er hat die Augen wie ein Normalsehender geöffnet.

Weiter gehts an der rechten Wand bis zum gelben Post-Briefkasten – «auch hier stosse ich häufig noch an». An diesem Morgen wartet für den Sehbehinderten aber eine spezielle Herausforderung. Ein SBB-Mitarbeiter steht beim Glaskubus auf einer Leiter und hantiert an der Überwachungs-kamera. Sein Arbeitskollege sieht Biedermann allerdings kommen und führt ihn um das Hindernis herum. «Da muss ich den SBB-Mitarbeitern ein Kränzchen winden, sie sind immer sehr aufmerksam», sagt Biedermann danach.

SBB: Lösung noch in diesem Jahr

Keine Lorbeeren holt sich der Staatsbetrieb allerdings mit der Unterführung. Seit zehn Jahren setzt sich der Verband für die Markierungen am Boden ein. Gemäss Behindertengleichstellungsgesetz, welches 2004 in Kraft trat, müsste der öffentliche Verkehr bis spätestens Ende 2023 barrierefrei zugänglich sein. Nach der Umfrage mit über 200 positiven Rückmeldungen beim Verband geht es nun aber vorwärts. Diese Woche trifft Biedermann eine SBB-Vertreterin zum Rundgang am Bahnhof. Die Forderung, dass die SBB in der Unterführung eine mit weiss aufgespritzte taktil-visuelle Markierung am besten mindestens 90 Zentimeter von der Wand entfernt realisieren, hofft sein Verband endlich durchsetzen zu können. «Es ist nicht nachzuvollziehen, dass dies bisher nicht geklappt hat», sagt Biedermann.

 

Für ihn geht es aber nicht nur um die Blinden und Sehbehinderten. Der Grundsatz, dass der öV barrierefrei bis 2023 zugänglich sein muss, nütze ja nicht nur ihnen, sondern auch Senioren im Rollator, Leute im Rollstuhl oder Familien mit Kinderwagen. Vorbildlich ist hingegen die Situation bereits auf den Perrons gelöst. Oben angekommen führen weisse Bodenplatten mit Erhöhungen rechts und links den Geleisen entlang, an denen sich Sehbehinderte wie Biedermann orientieren können.

 

Die SBB sagen auf Anfrage, dass sie derzeit eine Lösung erarbeiten, wie für Blinde und Sehbehinderte in der Martin-Disteli-Unterführung mit Leitlinien eine Orientierungshilfe erstellt werden kann. Die Situation sei nicht einfach, weil der Durchgang im Bereich des Kubus breiter sei und weil sich in der Unterführung Verkaufsstände befänden, die nicht zu einem Hindernis werden dürften. Voraussichtlich noch in diesem Jahr sollen die Leitlinien angebracht werden. (OT fmu)

 

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Busbetrieb Olten Gösgen Gäu: Sensibilisierung bisher ohne Betroffene

 

Thomas Biedermann hat auch schon mehrmals versucht, den Busbetrieb Olten Gösgen Gäu auf die Anliegen der Blinden und Sehbehinderten mithilfe eines Sensibilisierungskurses aufmerksam zu machen. Ein Termin kam laut Biedermann bisher allerdings nicht zustande, weil die Firma dies nicht mehr benötigte.

 

Auf Anfrage heisst es allerdings beim Busbetrieb, dass man für die Anliegen der Blinden und Sehbehinderten «sehr aufgeschlossen ist und diesen Rechnung trägt», wie es Direktor Toni von Arx ausdrückt. «Wir machen alles, um die gesetzlichen Vorschriften zu erfüllen.» Zudem hätten alle Chauffeure vergangenes Jahr eine Weiterbildung genau zu diesem Thema besucht. Der Busbetrieb hat den Anzug namens Ageman angeschafft, mit dem man sich in die Erlebens- und Erfahrungswelt eines älteren Menschen hineinversetzen und auch weitere Einschränkungen simulieren kann. «Diesen Anzug mussten alle Mitarbeiter tragen.» Sie hätten so erfahren, wie es ist, wenn man nicht gut hört, nicht gut sieht oder weniger beweglich sei. Auch eine Fahrt mit dem Rollstuhl aufs Perron beim Bahnhof hätte dazugehört. Für alles, was allerdings das Bauliche etwa bei den Haltestellen betreffe, sei nicht der Busbetrieb, sondern die Gemeinde, der Kanton oder die SBB zuständig.

 

Biedermann als Interessenvertreter vom Blinden- und Sehbehindertenverband widerspricht: Ein Anzug wie Ageman sei zwar eine Hilfe, aber «viele Punkte wie der Umgang oder das Ansprechen können nur durch Betroffene selbst adäquat vermittelt werden». (OT fmu)

Erstellt: T. Biedermann
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